Buddhistische Ansätze in der Trauerarbeit Bei einer Durchsicht von deutsch- und englischsprachiger Literatur zu Trauerbewältigung fällt auf, dass ein Großteil dessen, was über allgemeine, meist aus der westlichen Psychologie kommende Grundsätze hinausgeht, aus der christlichen Pastoraltheologie stammt. Letztere Ansätze bieten aber – weil theistisch orientiert – für Buddhisten wenig Verwendbares. Andererseits ist Trauer (im Gegensatz zu Krankheit, Alter und Tod) kein Thema, das in buddhistischen Schriften besonders ausführlich erörtert wird. Daraus ergeben sich die Fragen: Kann die Lehre des Buddha bei Trauerarbeit überhaupt einen spezifischen Zugang – in Theorie und Praxis – bieten? Und wenn ja, welchen? Es mag scheinen, dass der Buddhismus Trauern als Charakterschwäche oder Versagen der eigenen Praxis ansieht, obwohl es viele buddhistische Belehrungen über Mitgefühl gibt, das tiefgehendes Trauern erst ermöglicht. Der Dharma negiert also Trauer nicht: sogar der Buddha selbst hat den Verlust seiner beiden Hauptschüler betrauert. Ziel von Trauerbegleitung ist es, diesen Prozess nicht nur zuzulassen, sondern möglichst bewusst und in steter Achtsamkeit zu durchleben; mit allen Höhen und Tiefen. Im Sutra AN 5.49 empfiehlt der Buddha, uns auf die üblichen Bestattungsgewohnheiten einzulassen, solange sie die Gefühle der Trauernden in eine produktive Richtung hin kanalisieren. Tun sie das allerdings nicht mehr und man ertappt sich dabei, dass man der Trauer frönt, rät er wieder zu den wichtigen Verpflichtungen des eigenen Lebens zurückzukehren. Dies muss aber in einer Art und Weise erfolgen, bei der genug Raum bleibt für die Bewältigung der zu leistenden Trauerarbeit. Unbeständigkeit und Leidhaftigkeit Trauer und Verlust sind Aspekte von Vergänglichkeit und daher des Leidens und deshalb unvermeidliche Teile unseres samsarischen Daseins. Insofern kann der gesamte buddhistische Pfad auch als Übungsweg im Umgang mit Trauer gesehen werden. Buddhistische Stichworte sind hier natürlich „Loslassen“ und Dankbarkeit. Vergänglichkeit kann dabei insofern ein (allerdings vorsichtig zu äußernder) Trost sein, als es – außer bei Familienangehörigen – ja sehr wohl auch ein Leben gab, bevor man die verstorbene Person traf. Der Anstoß zu dieser Einsicht eröffnet ev. den Schimmer eines Ausblickes auf ein Leben „danach“, ohne diesen Menschen. Denn auch Trauer ist letztlich vergänglich: daher kann das Leben auch nach einem Verlust weitergehen; nur eben anders als vorher. Leerheit und der Dualismus der Relativen Wirklichkeit In gewisser Weise ergänzen einander während unseres Lebens Haben und Verlieren gegenseitig. Die Relativität solch dualistischer Kategorien zu erkennen und die Tatsache, dass es sich dabei eigentlich nur um Konzepte handelt, die wir den Erscheinungen des samsarischen Lebens „überstülpen“, ist ein Ziel des buddhistischen Übungsweges und dies nicht nur rein intellektuell, sondern bis sich diese Erkenntnis letztlich zu intuitiver Einsicht entwickelt hat. Ein ganz praktischer Zweck dabei ist – wie auch in der Trauerarbeit – auf eine Bewusstseinsebene jenseits von Hoffnung und Furcht zu gelangen. Die Untrennbarkeit von Relativer und Absoluter Wirklichkeit zu erkennen kann – auf den Trauerprozess bezogen – bedeuten zuzulassen, was immer aufkommt, ohne irgendetwas auszuschließen; wie unangenehm und schreckenerregend es auch sein mag. Hier müssen Begleitende besonders achten, den Dharma in angemessener Weise im Sinne „geschickter Mittel“ einfließen zu lassen, mit Liebender Güte und aktivem Mitgefühl und auf sensible, achtsame und differenzierte Art. Denn es wird wohl nicht tröstlich und mitfühlend sein, Trauernden ohne buddhistisches Vorwissen die Lehren von der Nicht-Existenz des Selbst und der Emotionen bzw. deren Vergänglichkeit gleichsam „um die Ohren zu hauen“. Hingegen könnte sich der Hinweis darauf bei Praktizierenden mit entsprechenden Kenntnissen − vorsichtig eingebracht − im Einzelfall sehr wohl als hilfreich erweisen. Anhaften, Ablehnen und beides Loslassen Grundsätzlich drückt Trauer natürlich immer auch eigene Anhaftung und damit das Streben nach Befriedigung des Ich aus: schließlich wurde mir ja genommen, was ich gerne behalten hätte. Denn würde es nicht um einen selbst gehen, sondern nur um den Verstorbenen, würde man sich nur um ihn Sorgen machen und gute Wünsche machen oder anderes tun, was zu einer günstigen Wiedergeburt verhilft. Andererseits tritt hier auch Ablehnung auf, im Sinne von nicht wahrhaben wollen des Verlustes, nicht allein sein und nicht leiden wollen. Trauer ist also in beiden Fällen Leiden, denn sie entsteht aus unserem Anhaften und Ablehnen. Aufgabe buddhistischer Trauerarbeit ist es, beide Geistestrübungen erst einmal überhaupt bewusst zu machen und sie in weiterer Folge soweit zu bearbeiten, dass ein „normaler“ Alltag wieder möglich wird. Mit dem Hinweis auf die Ich-Bezogenheit der eigenen Emotionen ist – zumindest Nicht-Buddhisten – in der Situation aber wohl kaum geholfen; das verletzt eher. Trauer um sich selbst ist sehr wohl auch nötig und darf daher nicht pauschal als Ich-Anhaften verteufelt werden; sie muss zugelassen werden um sie bewältigen zu können. Es geht hier aber andererseits auch darum, behutsam und ehrlich zu sehen, dass Verlustgefühl und Trauer nicht nur aus Liebe entstehen, sondern schon auch aus Anhaftung: man erkennt so die eigenen Motivationen, die dann auch das praktische Handeln leiten. Wichtig erscheint hier, Trauernden zu vermitteln, Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln. Leben im Hier und Jetzt Trauer kann man auch als Prozess verstehen, uns von Vergangenem zu heilen um unser Leben in der Gegenwart zu bewältigen. Mit zunehmender Verminderung des Schmerzes verwandelt sich auch unsere Trauer. Wir betrauern den Verlust des Sinneskontaktes, nicht aber den der Liebe, weil die immer noch da ist, unabhängig von der physischen Präsenz der betreffenden Person. Zuneigung bleibt existent, egal ob die Person bei uns, woanders oder tot ist. Verstorbene in Erinnerung zu ehren bedeutet also nicht, sich auf ihr Andenken unter Ausschluss von allen Anderen zu fokussieren. Vielmehr geht es darum, sie in Liebe und Dankbarkeit im eigenen Herzen weiterleben zu lassen, als Teil der eigenen Persönlichkeit. Trauer tötet einen Teil der Lebendigkeit in uns, vor allem in der Frühphase nach einem Verlust. Auf achtsames Leben im gegenwärtigen Augenblick (der – aus buddhistischer Sicht – allein „real“ existiert) und entsprechende Übungen dazu hinzuweisen, kann den Alltag leichter ertragbar machen und ermöglichen, den Trauerprozess auch bewusster zu durchleben. Was können wir noch tun? Laut der Lehre des Buddha gibt es Vieles, was Hinterbliebene für Verstorbene noch tun können: Sie können Praxis und Opferungen zu ihren Gunsten machen, Gebete in ihrem Namen sponsern und Schenkungen an Dharma-Projekte veranlassen. Oder sie können versuchen, die Wünsche und Bestrebungen der verstorbenen Person zu erfüllen, z. B. indem sie einen Teil des Nachlasses in ihrem Namen wohltätigen Zwecken widmen oder ein Vorhaben fördern, das dem Verstorbenen besonders am Herzen lag. Allgemeine Unterstützung für Trauernde im Sinne grundlegender Sichtweisen des Buddhismus finden sich in vielen Belehrungen. Spezifischere buddhistische Praktiken, wie Kontemplationen, Trauermeditationen, Visualisierungen und Liebende-Güte-Meditationen können auf verschiedenen Ebenen hilfreich sein, z. B. um Vergänglichkeit anzuerkennen, Mitgefühl – auch für sich selbst – zu entwickeln, auftretende Selbstzweifel und -hass zu bereinigen, sich beim Hochkommen von Schuldgefühlen Fehler zu verzeihen, Selbstvertrauen wiederzuerlangen oder einfach grundlegenden inneren Frieden finden zu können. All diese Übungen sollten aber möglichst unter kompetenter Anleitung erlernt werden, denn Bücher beantworten nicht alle auftauchenden Fragen! Zu berücksichtigen ist bei all dem aber immer: Trauernde brauchen in erster Linie Menschen, nicht Methoden! Und so stellen die Basis buddhistischer Trauerarbeit – in jedem Fall und traditionsübergreifend – Zuwendung, Liebende Güte und Aktives Mitgefühl dar. Buddhismus, Hospiz, TrauerOktober 9, 2013Georg SchoberNoch keine Kommentare